Mit den länger werdenden Abenden und der kühleren Witterung begann – genau wie heute – die Vorfreude auf die Advents- und Weihnachtszeit. Die Adventszeit war eine „geschlossene“ Zeit, ebenso wie die Fastenzeit. Hier fanden keine Tanzveranstaltungen oder ähnliche Feierlichkeiten statt. Weihnachtsbäumchen wurden von der Gemeinde geschlagen und für eine RM (später DM) an die Bürger verkauft oder selbst geschlagen. Einige Wochen vor Weihnachten begannen die Hausfrauen mit den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest. Die gute Stube wurde hergerichtet und man tätigte die erforderlichen Einkäufe, soweit es die finanzielle Situation zuließ.
Um die Weihnachtsbäckerei in geregelten Bahnen durchführen zu können, verloste die Gemeinde vorher die Reihenfolge der Backhausbenutzung. Am Nikolausabend gab es für uns Kinder meist einen neuen Griffel, da das Schreiben auf die Schiefertafel diese Anschaffung sowieso erforderlich machte. Einige Tage vor dem Weihnachtsfest fand die Beichte statt. Die Beichtgelegenheit wurde stets von mindestens zwei Geistlichen angeboten und trotzdem warteten die Gläubigen oft mehrere Stunden in der Kirche, bis sie ihre Beichte ablegen konnten. Die Christmette, das Hochamt am ersten und zweiten Feiertag sowie die Festandachten um 14:00 Uhr waren bis auf den letzten Platz besetzt. Die Kinder besuchten nach dem Gottesdienst die Weihnachtskrippe und warfen Geld in ein „Döschen“, welches in Form eines Kissens gestaltet war, auf dem ein schwarzer Junge saß. Fiel das Geld in das Behältnis, nickte der Schwarze mit dem Kopf. Natürlich landeten auch einige Knöpfe in der Spardose, denn Pfennige waren knapp in der damaligen Zeit.
Am Weihnachtsabend gab es zwar ein gemeinsames Abendessen, welches aber nicht mit dem heutigen Weihnachtsessen zu vergleichen ist. Die Geschenke waren sehr zweckdienlich: Eine neue Schieferntafel, ein Taschentuch oder selbstgestrickte Wollsocken. Ein Höhepunkt war noch einmal der Besuch der Paten. Nach der Andacht am 1. Weihnachtstag, strömten die Kinder umgehend nach Hause, denn Patt und Goo wurden erwartet. Deren Geschenke waren ähnlich wie die der Eltern. Für mehr reichten die finanziellen Möglichkeiten nicht. Ich kann mich aber erinnern, dass mein Pate (Kannese Hermann) mein Patengeschenk umständlich auspackte, um mir dann einen Stehkragen zu überreichen, der mir umgehend angelegt wurde. Ich war damals „stolz wie Oskar“ und rannte sofort damit in der Nachbarschaft herum, um das edle Teil zu zeigen. Vor dem Auflösen der Patengesellschaft wurde mir dann das eigentliche Patengeschenk überreicht, es waren ein paar selbstgestrickte Socken, für die ich mich artig bedankte. Das Wohlwollen über dieses Patengeschenk reichte jedoch bei Weitem nicht an die Freude über den Stehkragen heran, den mein Patt mir eigentlich aus Jux geschenkt hatte. Der Besuch aller Paten umfasste am Nachmittag des 1. Weihnachtsfeiertages übrigens mindestens 20 Personen und war – wie ich mich immer noch gerne erinnere – eine äußerst lustige Angelegenheit.